In den letzten Wochen und Monaten ist Astrologie beziehungsweise Sternzeichen lesen Trend geworden. Nicht mein Trend, aber durch das quasi permanente Zukunft-lesen im Freundeskreis erinnerte ich mich an Frau Dommer, eine Astrologin und Gesprächstherapeutin, die ich auf Empfehlung einer Freundin vor knapp drei Jahren in einer Lebenskrise besucht habe. Meine Erfahrung mit ihr war prägend: Das Gespräch tat mir extrem gut, es hat mich nachhaltig empowert und Frau Dommer hat außergewöhnlich schnell verstanden, wer ich bin. Auf der anderen Seite hat mich das Konzept der Astrologie nie wirklich überzeugen können, weder vor, noch nach dem Tag.
Zurück in die Gegenwart. Sofort schrieb ich Frau Dommer eine Mail, erklärte ihr meinen Zwiespalt, den aktuellen Astrologie-Hype und bat sie um ein Interview. Drei Wochen später sitzen wir in ihrer Praxis am Kudamm, ich werde herzlich mit Kaffee empfangen und sie ist bereit, ihre Gedanken mit mir zu teilen. Für Frau Dommer war es das erste Mal, dass sie sich für ein Interview zur Verfügung stellte. Unser Gespräch war dementsprechend sehr rücksichtsvoll und fand in einer vertraulichen Atmosphäre statt. Mein Ziel war es, sie verstehen zu lernen und mit dem Interview ein Porträt abzuzeichnen.
Was Planeten von uns wollen, über das Zyklische im Leben, und warum man keine Angst haben muss. Ein Gespräch mit Ina Dommer.
Astrologin Ina Dommer: "Ratschläge sind auch Schläge"
Ina Dommer (57) ist Gesprächstherapeutin und bietet in ihrer "Praxis für geistige Heilweisen" individuelle Beratung an. Thematisch verbindet sie dabei Ansätze aus der Heilpraktik, dem Schamanismus und der Astrologie. Ursprünglich Literaturwissenschaftlerin, studierte sie Geschichte, Philosophie und ist stets von einem Grundinteresse am Sein getrieben: Woher kommen wir, wohin gehen wir, wer sind wir, was für Dynamiken treiben uns an? Mit diesen Fragen beschäftigt sie sich. Ihre Klienten kommen mit unterschiedlichen Problemen: gesundheitlichen, beruflichen, partnerschaftlichen.
NOIZZ: Frau Dommer, sie arbeiten als private Gesprächstherapeutin und verbinden dabei Lehren aus der Heilpraktik, dem Schamanismus, der Psychotherapie sowie der Astrologie. Wie würden Sie ihren individuellen und außergewöhnlichen Ansatz beschreiben?
Dommer: Im Gespräch geht es mir darum, die erlebte Realität des Klienten zu erfassen und so den Klienten mehr in Kontakt mit sich selbst zu bringen. Probleme anderer Menschen kann ich zwar nicht lösen, aber ich kann bei der Lösung unterstützen. Als Therapeutin steht es mir ohnehin nicht zu, dem Klienten Vorgaben zu machen, was er tun und lassen soll. Deshalb gibt er seine Verantwortung an der Praxistür nicht ab. Ratschläge sind auch Schläge. Viel sinnvoller erscheint mir, den Klienten zur Selbstermächtigung zu motivieren und ihn anzuregen, seine eigene Wahrheit zu finden, nicht die anderer.
NOIZZ: Wie machen Sie das?
Dommer: Ich habe viele Tools. Ich bin Heilpraktikerin und besitze ein großes Repertoire an energetischen Methoden; Methoden des geistigen Heilens - des feinstofflichen Bereichs. Mit Erlaubnis einer Person kann ich Techniken anwenden, um ihr Energielevel anzuheben. Ich arbeite auch mit schamanischen Techniken, so wie der Familienaufstellung. Außerdem benutze ich Fragetechniken nach dem Vorbild von Sokrates - denn jeder trägt die Antworten schon in sich. Eine Beratung bei mir ist für den Klienten, wie einen Schatz zu heben.
Astrologie als Orientierungshilfe
NOIZZ: Welche Rolle spielt dabei die Astrologie?
Dommer: Ich muss Ihnen vorwegsagen, dass ich Ihnen nur meine eigene Erfahrung mitteilen kann. Die Astrologie ist so eine alte Deutungskunst und ein Lernen, das niemals aufhört. Ich wage nicht, mir anzumaßen, alles zu wissen. Zur Frage: Die Astrologie bietet dabei eine Orientierungshilfe, nicht mehr und nicht weniger.
NOIZZ: Wie funktioniert das?
Dommer: Astrologie ist die Deutungskunst von Planeten und ihren Konstellationen. Planeten wollen nichts von uns, die ziehen nur ihre Bahnen, ich kann aber Ihre Kraft nutzen. Im Großen und Ganzen sieht es so aus: Planeten transportieren Energien und ich kann einen Klienten ermutigen, bestimmte Energien zu nutzen – dann wird er Rückenwind spüren. Und ich kann empfehlen, vielleicht besser zu pausieren, oder Energien anders nutzen. Aber entscheiden muss der Klient, das ist wichtig.
Es gibt nämlich viele Menschen, die sich von Astrologie abhängig machen wollen. Aber diese Klienten sind bei mir falsch. Wir leben auch nicht mehr im Mittelalter, wo es sehr einfach war, deterministische Aussagen zu machen.
NOIZZ: Können Sie mir ein Beispiel für eine Deutung nennen?
Dommer: Ja. Mit dem Saturn kann ich zum Beispiel etwas prüfen und eine neue Struktur geben. Mit Pluto kann ich schauen, wo Prozesse zu einem Ende gekommen sind und wo eine Erneuerung stattfindet. Die Deutung der Konstellationen ist allerdings offen und ich verschreibe mich auch keinem astrologischen Konzept. Jeder Astrologe liest und interpretiert Konstellationen auf seine eigene Art.
Planeten beim Geburtsmoment
NOIZZ: Planeten geben Energien ab und fühlen sich unterschiedlich an. So weit so gut. Aber warum ist der Geburtszeitpunkt und damit das Sternzeichen so wichtig?
Dommer: Der Geburtsmoment ist wichtig, weil er eine Stimmung einfängt. Die spiegelt wider, welche förderlichen Bedingungen und Herausforderungen ein Leben mit sich bringt. Wie ein Wein, ein Jahrgang.
NOIZZ: Wo wir bei alten Weinen und Geburtsstunden eh schon in der Vergangenheit kramen: Wie sind sie denn überhaupt zur Astrologie gekommen?
Dommer: Aus gesundheitlichen Gründen. Früher hatte ich viel Stress. Heute würde man das Hochsensibilität nennen. Ich habe dann über eine Empfehlung eine Astrologin aufgesucht. Ihre Stimme und die Inhalte des Gesprächs schlugen bei mir ein. Im Gespräch mit ihr habe ich mich wiedergefunden, obwohl mich diese Dame gar nicht kannte. Aber sie konnte so viel Charakterliches von mir spot on beschreiben. Und: Sie verlor sich nicht in astrologischen Sprachfloskeln, sondern hat Konstellation so übersetzt, dass sie alltagstauglich waren. So mache ich das auch. Denn der Klient kommt ja nicht, um Astrologie zu lernen, sondern, weil er seine Lebensfragen geklärt haben will. Mein Lebensmotto seitdem: Ich versuche meine Differenzen zu anderen Menschen als Qualität anzusehen, nicht als Defizit.
Esoterik und Spiritualität
NOIZZ: Würden Sie sich als Esoterikerin bezeichnen?
Dommer: Nein. Ich trenne Astrologie von Esoterik. Esoterik ist nicht Spiritualität. Esoterik sind in sich geschlossene Philosophien und Gedankengebäude. Sind nicht veränderbar und außerhalb ist wenig Spielraum. Deshalb sind Esoteriker gebunden. Klienten in ein (esoterisches) Konzept zu stellen, verletzt in meinen Augen ihre Autonomie.
Spiritualität heißt, aus seinem Geist heraus leben. Völlig ohne Esoterik. Spiritualität heißt auch: Authentizität. Frei sein. Bei sich sein. Unseren Charakter können wir nicht verändern und das ist auch gut so. Denn es hat einen Grund, warum wir sind, wie wir sind. Wer spirituell ist, der lebt im Einklang mit sich und der Natur.
NOIZZ: Als Heilpraktikerin und Astrologin fallen Sie aus dem Rahmen. Mich interessiert ihr Weltbild.
Dommer: Ich würde es als schamanische Weltsicht beschrieben. Für die indigenen Völker und die alten Kulturen war alles lebendig und beseelt, eine Vorstellung, die sich auch im Animismus wiederfindet. Der Mensch ist auf Augenhöhe mit der Natur, nicht übergeordnet und dadurch entkoppelt. Deshalb sind wir auch Teil des Naturzyklus vom Werden, Vergehen und wieder Werden.
In solchen schamanischen Vorstellungen gibt es übrigens keinen wirklichen Tod, denn das Leben setzt sich in feinstofflicher Form fort. Hier gibt es unzählige Mythen und Legenden. Für mich ist es eine schöne Idee, eines Tages wieder reine Schöpferenergie zu sein; Teil von Blumen, Bäumen oder anderer Lebewesen.
Die Astrologie kann uns dabei unterstützen, unsere persönlichen Seelenfarben zu entdecken und die Welt dadurch mitzugestalten. Was für eine schöne Welt das wäre, in der wir alle unsere wirklichen Talente und unsere Kreativität leben.
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Sternzeichen und Horoskope
NOIZZ: Der Anlass unseres Gesprächs war ja der Hype, den es gerade um Sternzeichen-Identitäten und astrologischen Horoskopen gibt. Haben Sie eine Idee, wo das herkommt?
Dommer: Ich glaube, Menschen suchen nach neuen Orientierungen. Denn heute ist vieles unklar.
NOIZZ: Mich stört der Hype ja, ich glaube nicht daran, dass einem das Sternzeichen so eindeutig sagen kann, wer man ist. Was sagen sie zu dieser Aussage: "Fische sind sensibel und kreativ".
Dommer: Das ist okay, ein Teilausschnitt. Kann man so stehen lassen, ist aber ausbaufähig. Außerdem entscheidet das Sternzeichen ja nicht alleine, es kommt auf die Häuser an. Wenn die Widdersonne im 12. Haus ist, dann nützt das Kämpferische nicht sehr viel, denn es dauert seine Zeit, bis man Zugang zu sich selbst bekommt. Ist sie aber im ersten Haus: perfekt. Dann haben wir einen Pionier, einer der seinen Weg nimmt und geht. Es sei denn, es gibt herausfordernde Aspekte.
Von den Sofortdeutungen bin ich aber generell kein großer Freund. Damit tut man der Astrologie nicht gut. Übrigens sind nicht alle Fische sensibel. Fische sind gute Beobachter und haben oft ein Identitätsthema. Fische sind eine Fülle von Möglichkeiten – sie sind ja das letzte Tierkreiszeichen. Ein Fisch kann sich überall anpassen und so tun, als ob. Das kann ein Löwe nicht – ein Löwe ist ein Löwe.
NOIZZ: Ich bin Fische.
Dommer: Sie sind sicher sensitiv. Sie nehmen unglaublich viel wahr. Sie fühlen sich dem sicher auch manchmal ausgeliefert und können erschöpft sein, weil es so unmittelbar in sie dringt. Trotzdem muss man auf die anderen Konstellationen schauen.
Wenn man sich Jahreshoroskope anschaut, dann gibt es Tendenzen, dass bestimmte Tierkreiszeichen bestimmte Erfahrungen durchleben. Aber es gibt an sich zu viele Faktoren. Es kann auch sein, dass man sich im Jahreshoroskop nicht wiederfindet. Ich zum Beispiel selten.
NOIZZ: Woran liegt das?
Dommer: Weil ich zu wenig verschiedene Jahreshoroskope lese. Hören Sie mehrere Astrologen, hören Sie mehrere Deutungen.
Vorherbestimmung und Mitspracherecht
NOIZZ: Solche Deutungen zielen ja immer auf die Zukunft. Ist die eigentlich in Stein gemeißelt?
Dommer: Nein, ich glaube nicht an Vorherbestimmung. Wir haben Mitspracherecht. Wenn man das Selbstbewusstsein stärkt, dann wird ein Mensch Krisen überwinden - und dann ist er ein Neuer. Durch diese Haltung bin ich selbst viel demütiger und gelassener geworden. Man identifiziert sich nicht mehr so sehr mit Dingen. Ich weiß, ich habe die Fähigkeit, Dinge zu lösen. Das nimmt Angst.
Auch wir leben in Zyklen. Wenn wir einen Entwicklungszyklus abgeschlossen haben, kommen wir auf eine neue Ebene mit neuen Herausforderungen. Weil unsere Seelen sich entfalten wollen. Wenn ich mich gegen Prozesse der Weiterentwicklung sträube, dann wird es in meinem Leben eng. Dafür nutze ich die Planeten: um mit dem Leben mitzugehen und mich stets zu überprüfen. In diese Prozesse muss man sich ergeben. Hätte man nie einen Winter, würde es nie ein Frühjahr geben.
Frau Dommer empfiehlt folgende Autor*innen:
Liz Greene, Leitfigur der psychologischen Astrologie. Dane Rudyhar, Begründer der humanistischen Astrologie. Carl Roger, Entwickler der klientzentrierten Gesprächstherapie. Rupert Sheldrake, Biologe, Parapsychologe und Vertreter der Existenz morphologischer Felder.
Quelle: Noizz.de